Neuroathletik – Training beginnt im Kopf!

Julian Roefs entdeckte die Neuroathletik zunächst durch eigene Erfahrungen – heute begeistert er damit Patienten und Sportler. Im Interview erklärt er, warum unser Gleichgewichtssystem der Schlüssel zu effizienter Bewegung und Leistungsfähigkeit ist und wie Neuroathletik (NAT) nicht nur im Spitzensport, sondern auch im Vereinsalltag funktioniert.

Seine Workshops erlebt ihr live beim Sportkongress Stuttgart 2025. Wir haben im Vorfled mit Julian gesprochen: 

Julian, wie bist du zum Thema Neuroathletiktraining gekommen?
Auf Neuroathletiktraining bin ich über meine eigenen Problematiken gestoßen, die ich loswerden wollte. Außerdem habe ich bei Patient:innen gemerkt, dass es nach einer gewissen Zeit in verschiedenen Therapiestadien keine Fortschritte mehr gab. Das hat mich motiviert, nach neuen Zugängen zu suchen. Den entscheidenden Impuls, mich tiefer mit dem Thema Neuroathletiktraining auseinanderzusetzen, gaben mir schließlich ein Video von Dr. Eric Cobb und verschiedene Blogartikel von Lars Lienhard.

Was fasziniert dich persönlich am Zusammenspiel zwischen Gehirn und Bewegung?
Mich begeistert, dass sämtliche Bewegungsprogramme von den neuronalen Grundbedingungen abhängen. Das bedeutet: Jede Bewegung ist letztlich Ausdruck davon, wie unser Gehirn Informationen verarbeitet.

Gibt es einen Moment oder ein Erlebnis, bei dem dir die Wirksamkeit von Neuroathletik besonders bewusst wurde?
Mir fällt spontan kein konkreter Moment ein, aber besonders eindrücklich ist für mich, dass sich oftmals sofort Verbesserungen zeigen – manchmal innerhalb von Sekunden. Gleichzeitig lassen sich diese Effekte langfristig aufbauen. Am meisten berührt mich, wenn Menschen mit schwierigen Startbedingungen durch die Behandlung massive Fortschritte erzielen, die vorher lange nicht vorstellbar waren.

Für alle, die den Begriff noch nie gehört haben: Was ist Neuroathletiktraining in einfachen Worten?
Einfach erklärt, bezieht sich das Neuroathletiktraining darauf, wie das Gehirn den Körper und die Bewegung steuert. Dabei gucken wir, welche neuronalen Anforderungen die Bewegung an das Nervensystem, das Gehirn stellt. Welche Informationen braucht also das Gehirn, um optimale Bewegungsprogramme für die jeweiligen Situationen zu erstellen.

Welche Rolle spielt das Gleichgewichtssystem in unserem Training – und warum ist es so entscheidend für die Leistungsfähigkeit?
Das Gleichgewichtssystem (vestibuläres System) misst Beschleunigungen und liefert dem Gehirn wichtige Informationen über Lage und Orientierung im Raum. Diese Daten stabilisieren Haltung, Körper und Augen und ermöglichen eine effiziente Ausrichtung gegen die Schwerkraft. Ist diese Signalverarbeitung gestört, reagiert das Nervensystem oft mit Instabilität, Leistungsabfall oder sogar Schutzmechanismen wie Muskelhemmung. Ein trainiertes Gleichgewichtssystem sorgt daher für effizientere Bewegungen, bessere Koordination und höhere Leistungsfähigkeit.

Kann Neuroathletik auch im Breitensport oder in der Vereinsarbeit eingesetzt werden – oder ist es vor allem etwas für Leistungssportler?
Neuroathletik ist nicht nur für den Spitzensport gedacht, sondern lässt sich auch sehr gut im Breitensport und in der Vereinsarbeit einsetzen. Gerade dort profitieren Sportler:innen von besserer Koordination, höherer Bewegungsqualität, Verletzungsprävention und schnellerer Regeneration. Während im Leistungssport oft die Feinoptimierung im Vordergrund steht, geht es im Breitensport eher um Gesundheit, Spaß an Bewegung und langfristige Belastbarkeit – und genau hier kann Neuroathletiktraining einen großen Mehrwert bieten.

Was sind typische Missverständnisse oder Mythen über Neuroathletik, die du gerne aufklären würdest?
Neuroathletik ist keine Trainingsmethode wie es oft medial dargestellt wird, sondern eher eine Tätigkeitsbeschreibung und stellt individuelle neurophysiologische Gegebenheiten in den Vordergrund. Daher gibt es keine One-Fits-All Lösungen oder ein allgemeines NAT, dass man einfach in das Training integrieren kann. Das Nervensystem ist so individuell wie ein Fingerabdruck, diesem versucht das NAT etwas gerechter zu werden.

Neuroathletiktraining ersetzt kein Training oder Therapie, sondern schafft neuronale Rahmenbedingungen, um Training und Therapieprozesse zu optimieren. Muskeln, Ausdauer und Technik entwickeln sich nur dann optimal, wenn das Nervensystem die nötigen Informationen präzise verarbeiten kann. Wenn zum Beispiel das Gleichgewichtssystem oder die Augen nicht sauber arbeiten, „bremst“ das Nervensystem Bewegungen ab, um den Körper zu schützen – die Kraft oder Technik kann dann gar nicht voll ausgespielt werden. Neuroathletik sorgt also dafür, dass klassische Trainingsreize besser ankommen, Bewegungen effizienter werden und Verletzungsrisiken sinken. Es ist die Grundlage, auf der jedes andere Training wirksamer wird.

Sportkongress & Ausblick

Was dürfen die Teilnehmende in deinen Workshops konkret erwarten?
In meinen Workshops gebe ich den Teilnehmer:innen ein strukturiertes Warm-up an die Hand, das die Grundlagen der Neuroathletik vermittelt. Außerdem lernen sie, wie sie gezielt Gleichgewichtsreize in ihr Training einbauen können – ein wichtiger Schlüssel, um das Nervensystem effektiv anzusprechen.

Gibt es kleine Übungen oder Tipps, die jeder sofort in seinen Trainingsalltag einbauen kann?
Ja – im Prinzip wird sich vieles, was im Workshop behandelt wird, direkt in den Trainingsalltag integrieren lassen. Schon kleine Anpassungen können dabei helfen, das Training effektiver und individueller zu gestalten.

Wenn du den Lesern nur einen Impuls mitgeben könntest, um ihr Training zu verbessern – welcher wäre das?
Mein wichtigster Impuls wäre: Weg vom starren, genormten Training, das eher beschränkt und weg von der Angst Fehler zu machen. Stattdessen hin zu einem spielerischen Umgang mit Bewegung in allen Bewegungsebenen – und dazu, sich selbst wieder mehr Vielfalt und Freiheit in der Bewegung zu erlauben.

Ihr habt Lust bekommen euch weiterzubilden und von Julian zu lernen? Hier gibt es alle Infos.

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